»Wenn dich also einmal die schmutzige Wollust reizt, so sei darauf bedacht, ihr sogleich mit diesen Waffen zu begegnen: Bedenke besonders, wie unrein, wie schmutzig, wie jedes Menschen unwürdig diese Begierde ist, die uns, die wir Geschöpfe Gottes sind, nicht nur dem Kleinvieh, sondern auch den Schweinen, Böcken, Hunden, den unvernünftigsten der unvernünftigen Tiere gleichmacht. Ja, sie erniedrigt uns, die wir zur Partnerschaft mit den Engeln und zur Gemeinschaft mit Gott bestimmt sind, noch unter den Rang der Tiere.«
Quelle
Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften. Ausgabe in acht Bänden. Lat./Dt. Hrsg. von Werner Welzig. Bd. 1: Epistola ad Paulum Volzium / Briefe an Paul Volz. Enchiridion militis christiani / Handbüchlein eines christlichen Streiter. Übers., eingel. und mit Anm. versehen von Werner Welzig. Darmstadt: WBG 1968, vmtl. S. 331 (Gegen die Wollust) – © 1968 WBG, Darmstadt.
Schlagwort: Würde
»Alles ferner, […], alles, was mit der Freyheit des Menschen streitet, was ihren Gebrauch einschränket und hindert, das streitet mit der Würde der Menschheit […].«
Quelle
Georg Joachim Zollikofer: Predigten über die Würde des Menschen, und den Werth der vornehmsten Dinge, die zur menschlichen Glückseligkeit gehören, oder dazu gerechnet werden. Bd. 1. Reutlingen: Grözinger, 1790, 2. Predigt.
»Abgesehen davon wird die wahre Großmut stets von einer gewissen Bescheidenheit begleitet. Diese besteht im Nachdenken über die Schwäche unserer Natur und über die Fehler, die wir möglicherweise einst begangen haben oder demnächst begehen werden, und die nicht weniger schwerwiegend sind als die Fehler, die von anderen begangen werden können.«
Quelle
Samuel von Pufendorf: Über die Pflichten des Menschen und des Bürgers nach dem Gesetz der Natur. Hrsg. und übers. von Klaus Luig. Frankfurt am Main: Insel, 1994, S. 78-81. – © Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig. Alle Rechte vorbehalten durch Insel Verlag Berlin.
»Erst durch das Aufheben der natürlichen Unbändigkeit und durch das Wissen, daß ein Allgemeines, Anundfürsichseiendes das Wahre sei, erhält der Mensch eine Würde, und dann ist erst das Leben selbst auch etwas wert.«
Quelle
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: werke. Radeaktion von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Bd. 16: Vorlesungen über die Philosophie der Religion I. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1969, S. 301.
»Wie groß auch die Verschiedenheit der Sitten sein mag, es bleibt immer ein gemeinschaftlicher Grund und Boden unangetastet; derselbe macht das Wesen des Geschöpfes aus, an welchem die Abänderungen sich ansetzen, die es von außen empfängt. Die Unversehrtheit dieses Wesens gibt dem Geschöpf seinen Werth; wir wollen dasselbe die Würde nennen.«
Quelle
Pierre-Joseph Proudhon: Die Gerechtigkeit in der Revolution und in der Kirche. Neue Principien praktischer Philosophie. Übers. von Ludwig Pfau. Hamburg: Meißner und Zürich: Meyer & Zeller 1858, S. 56f.
»Bei jedem Menschen, mit dem man in Berührung kommt, unternehme man nicht eine objektive Abschätzung desselben nach Wert und Würde, ziehe also nicht die Schlechtigkeit seines Willens noch die Beschränktheit seines Verstandes und die Verkehrtheit seiner Begriffe in Betrachtung, da ersteres leicht Haß, letzteres Verachtung gegen ihn erwecken könnte; sondern man fasse allein seine Leiden, seine Not, seine Angst, seine Schmerzen ins Auge – da wird man sich stets mit ihm verwandt fühlen.«
Quelle
Arthur Schopenhauer: Parerga und Paralipomena. Kleine philosophische Schriften II. In: Arthur Schopenhauer: Sämtliche Werke. Hrsg. von Wolfgang Frhr. von Löhneysen. Bd. 3. Stuttgart: Cotta / Frankfurt am Main: Suhrkamp 1978, S. 239f.
»Die Lagerwächter wußten genau, daß die Wahl des Augenblicks und der Mittel des eigenen Todes die Behauptung der eigenen Freiheit bedeutete. Das Ziel des Lagers war also gerade die Verneinung dieser Freiheit und also auch dieser Würde. Deshalb versuchten diese Wächter, mit allen Mitteln die Selbstmorde zu verhindern, auch wenn sie sonst mit soviel Leichtigkeit töteten.«
Quelle
Tzvetan Todorov: Angesichts des Äußersten. Aus dem Frz. von Wolfgang Heuer und Andreas Knop. München: Fink 1993, S. 71ff. – © 1993 Wilhelm Fink Verlag, München.
»Was dürfen wir anderes in der Arbeitsnoth aller der Millionen finden als den Trieb um jeden Preis dazusein, denselben allmächtigen Trieb, durch den verkümmerte Pflanzen ihre Wurzeln in erdloses Gestein strecken!«
Quelle
Friedrich Nietzsche: Der griechische Staat. In: F. N.: Sämtliche Werke. Krit. Studienausgabe in 15 Bnd. Hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Bd. 1: Die Geburt der Tragödie. Unzeitgemäße Betrachtungen I-IV. Nachgelassene Schriften 1870-1873. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1980, S. 765.
»Der Mensch erkennt, daß er elend ist. Er ist also elend, weil er es ist, aber er ist sehr groß, weil er es erkennt.«
Quelle
Blaise Pascal: Gedanken über die Religion und einige andere Themen. Hrsg. von Jean-Robert Armogathe. Aus dem Frz. übers. von Ulrich Kunzmann. Stuttgart: Reclam, 1997, vmtl. S. 84f.
»Verstand und Vernunft adeln den Menschen. Dies ist der erste und vornehmste Grund seiner Würde.«
Quelle
Georg Joachim Zollikofer: Predigten über die Würde des Menschen, und den Werth der vornehmsten Dinge, die zur menschlichen Glückseligkeit gehören, oder dazu gerechnet werden. Bd. 1. Reutlingen: Grözinger, 1790, 1. Predigt. S. 5f.
»Daß der Mensch in seiner Vorstellung das Ich haben kann, erhebt ihn unendlich über alle andere auf Erden lebenden Wesen. Dadurch ist er eine Person und vermöge der Einheit des Bewußtseins bei allen Veränderungen, die ihm zustoßen mögen, eine und dieselbe Person, d.i. ein von Sachen, dergleichen die vernunftlosen Tiere sind, mit denen man nach Belieben schalten und walten kann, durch Rang und Würde ganz unterschiedenes Wesen […].«
Quelle
Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Hrsg. und eingel. von Wolfgang Becker. Mit einem Nachw. von Hans Ebeling. Stuttgart: Reclam 1983, S. 37.
»Das Menschengeschlecht, wie es jetzt ist und wahrscheinlich lange noch sein wird, hat seinem größten Teil nach keine Würde; man darf es eher bemitleiden, als verehren. Es soll aber zum Charakter seines Geschlechts, mithin auch dessen Wert und Würde gebildet werden.«
Quelle
Johann Gottfried Herder: Briefe zur Beförderung der Humanität. Rudolstadt: Der Greifenverlag [o.J.], S. 60f.
»Der Mut der Wahrheit, der Glaube an die Macht des Geistes ist die erste Bedingung der Philosophie. Der Mensch, da er Geist ist, darf und soll sich selbst des Höchsten würdig achten; von der Größe und Macht seines Geistes kann er nicht groß genug denken.«
Quelle
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Radeaktion von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Bd. 18: Vorlesungen über die Philosophie der Philosophie I. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1971, S. 13f.
»Man könnte also den Menschen, sofern er als geistiges Subjekt außer der Natur steht und in dieser seiner sentimentalischen Abgetrenntheit, dieser seiner Zweiheit von Natur und Geist seine Würde und sein Elend findet, schlechthin das romantische Wesen nennen. Die Natur ist glücklich – oder sie scheint ihm doch so; denn er selbst, in tragische Antinomien verstrickt, ist ein romantisch leidendes Geschöpf.«
Quelle
Thomas Mann, Goethe und Tolstoi, in: Thomas Mann, Leiden und Größe der Meister, Frankfurt am Main: S. Fischer, 1982, S. 53. – © 1982 S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.
»Die Würde hat zur Maxime oder Leistungsregel die körperliche und geistige Glückseligkeit; so daß diese drei Begriffe, Glückseligkeit, Würde und Sitte adäquat und solidarisch sind und sich logischer Weise nie im Widerspruch befinden können.«
Quelle
Pierre-Joseph Proudhon: Die Gerechtigkeit in der Revolution und in der Kirche. Neue Principien praktischer Philosophie. Übers. von Ludwig Pfau. Hamburg: Meißner und Zürich: Meyer & Zeller 1858, vmtl. S. 61f.
»Unterscheiden wir uns doch von den wilden Tieren vor allem dadurch, dass jene, vorüber gebeugt und zum Boden geneigt, nur dazu geboren sind, ihr Futter zu suchen, während wir, denen ein gehobenes Antlitz, denen der Blick zum Himmel gegeben ist, Sprache und Verstand besitzen, mit denen wir Gott erkennen, erfassen und ihm nachstreben.«
Quelle
Minucius Felix, Octavius, Lat./Dt. Hrsg. u. übers. von B. Kytzler, Stuttgart, Reclam, 1993, S. 49.
»Ist es doch freilich Gesetz für die Menschennatur, daß sie nur dann unter dem übrigen hervorragt, wenn sie sich selbst erkennt, zugleich jedoch tiefer als die Tiere hinabsinkt, wenn sie aufhört, sich zu kennen; denn den übrigen Lebewesen ist, sich nicht zu kennen, Natur, beim Menschen wird es zum Vergehen!«
Quelle
Boethius: Trost der Philosophie. Übers. und hrsg. von Karl Büchner. Mit einer Einf. von Friedrich Klingner. Stuttgart: Reclam 1971, S. 72-76.
»Es ist gefährlich, dem Menschen zu eindringlich vor Augen zu führen, wie sehr er den Tieren gleicht, ohne ihm seine Größe zu zeigen. Und es ist weiter gefährlich, ihm zu eindringlich seine Größe ohne seine Niedrigkeit vor Augen zu führen.«
Quelle
Blaise Pascal: Gedanken über die Religion und einige andere Themen. Hrsg. von Jean-Robert Armogathe. Aus dem Frz. übers. von Ulrich Kunzmann. Stuttgart: Reclam, 1997, vmtl. S. 84.
»Bist du der erste, der vornehmste, Bewohner dieses Erdbodens, o Mensch, herrschest und regierest du da im Namen deines höchsten Oberherrn, und willst du die Würde eines Statthalter Gottes in dieser Provinz seines Reiches behaupten, o so herrsche und regiere mit Weisheit und Güte! Sey nicht der Tyrann, sey der Beschützer, der Versorger, der Führer aller niedrigern Arten von Geschöpfen.«
Quelle
Georg Joachim Zollikofer (1730-1788): Predigten über die Würde des Menschen, und den Werth der vornehmsten Dinge, die zur menschlichen Glückseligkeit gehören, oder dazu gerechnet werden. Bd. 1. Reutlingen: Grözinger, 1790, 2. Predigt.
»Ein jeder Mensch hat rechtmäßigen Anspruch auf Achtung von seinen Nebenmenschen, und wechselseitig ist er dazu auch gegen jeden anderen verbunden. Die Menschheit selbst ist eine Würde; denn der Mensch kann von keinem Menschen (weder von anderen noch sogar von sich selbst) bloß als Mittel, sondern muß jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden, und darin besteht eben seine Würde (die Persönlichkeit) […].«
Quelle
Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten. Mit einer Einl. hrsg. von Hans Ebeling. Stuttgart: Reclam 1990. • Kapitel: Von den Tugendpflichten gegen andere Menschen aus der ihnen gebührenden Achtung.
»PEPEL. Reue verspür ich nicht … glaub auch an kein Gewissen … Eins aber fühl ich: ich muß anders leben! Besser muß ich leben! … daß ich mich selber achten kann …«
Quelle
Maxim Gorki: Nachtasyl. Szenen aus der Tiefe in vier Akten. Übers. von August Scholz. Stuttgart: Reclam 1957, S. 64f.
»Wäre die Idee des Selbst von allem abgetrennt, nichts würde einen berühren: man wäre völlig gelähmt und unempfindsam: Oder, wenn man sich doch irgendwann einmal irgendeiner Art von Bewegung hingeben würde, es wäre einzig motiviert durch Eitelkeit und Verlangen nach Ruhm und Ansehen.«
Quelle
David Hume: Of the Dignitiy or Meanness of Human Nature. In: D. H.: Essays: Moral, Political and Literary. Hrsg. von Eugen F. Miller. Indianapolis 1986, S. 80-86. – Übers. von Kathleen Abel und Franz Josef Wetz.
»Der Nazi, der immer in Übereinstimmung mit seinen Überzeugungen handelte, verdiente vielleicht eine Art von Achtung, aber sein Verhalten wird deshalb nicht moralisch. Damit es moralisch wird, reicht es nicht aus, daß zwischen den Idealen und den Taten ein harmonisches Verhältnis herrscht. Vielmehr dürfen sich beide nicht gegen das Wohl der Menschheit richten.«
Quelle
Tzvetan Todorov: Angesichts des Äußersten. Aus dem Frz. von Wolfgang Heuer und Andreas Knop. München: Fink 1993, S. 79. – © 1993 Wilhelm Fink Verlag, München.
»Der ›autonome Mensch‹ ist ein Mittel, dessen wir uns bei der Erklärung jener Dinge bedienen, die wir nicht anders erklären können. Er ist ein Produkt unserer Unwissenheit, und während unser Wissen wächst, löst sich die Substanz, aus der er gemacht ist, immer mehr in Nichts auf.«
Quelle
Burrhus Frederic Skinner: Jenseits von Freiheit und Würde. Übers. von Edwin Ortsmann. Reinbeck: Rowohlt 1973. – © Copyright für die deutsche Übersetzung von Edwin Ortmann 1973 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbeck bei Hamburg.
»[…] wenn wir bedenken wollen, eine wie überlegene Stellung und Würde in unserem Wesen liegt, dann werden wir einsehen, wie schändlich es ist, in Genußsucht sich treiben zu lassen und verzärtelt und weichlich, und wie ehrenhaft andererseits, sparsam, enthaltsam, streng und nüchtern zu leben.«
Quelle
Cicero, Marcus Tullius, De officiis / Vom pflichtgemäßen Handeln. Lat./Dt. Übers., komm. und hrsg. von Heinz Güntermann. Stuttgart, Reclam, 1976,
»Vor der Achtung kann man sagen, sie beuge sich vor ihrem Gegenstande; von der Liebe, sie neigt sich zu dem ihrigen; von der Begierde, sie stürzt auf den ihrigen.«
Quelle
Friedrich Schiller: Kallias oder über die Schönheit. Über Anmut und Würde. Hrsg. von Klaus L. Berghahn. Stuttgart: Reclam 1971, S. 129.
»Der Hochmuth, der Ehrgeiz, der Ruhm verletzen offen die Gerechtigkeit; sie rufen Mißtrauen, Haß und Widerstreit hervor – eine positive und direkte Mißachtung der Würde des Nächsten.«
Quelle
Pierre-Joseph Proudhon: Die Gerechtigkeit in der Revolution und in der Kirche. Neue Principien praktischer Philosophie. Übers. von Ludwig Pfau. Hamburg: Meißner und Zürich: Meyer & Zeller 1858, vmtl. S. 191f.
»Geist nämlich ist Stolz, ist emanzipatorische Widersetzlichkeit (dies Wort im rein logischen, wie auch im streitbaren Sinn genommen) gegen die Natur, ist Abgelöstheit, Entfernung, Entfremdung von ihr; Geist ist das, was den Menschen, dies von der Natur in hohem Grad gelöste, in hohem Maße sich ihr entgegengesetzt fühlende Wesen, vor allem übrigen organischen Leben auszeichnet, und die Frage, die aristokratische Frage ist, ob er nicht in desto höherem Grade Mensch sei, je gelöster von der Natur, das heißt, je kränker er sei. Denn was wäre Krankheit, wenn nicht Abgetrenntheit von der Natur?«
Quelle
Thomas Mann, Goethe und Tolstoi, in: Thomas Mann, Leiden und Größe der Meister, Frankfurt am Main: S. Fischer, 1982, S. 50-53. – © 1982 S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.
»Mehr noch als ›Freiheit‹ ist ›Würde‹ ein Wunschbegriff, der […] die gelungene Selbstdarstellung bezeichnet. Die Würde des Menschen ist keineswegs eine Naturausstattung wie vermutlich gewisse Grundlagen der Intelligenz. Sie ist auch nicht einfach ein ›Wert‹, den der Mensch wegen einer bestimmten Naturausstattung ›hat‹ oder ›in sich trägt‹. Würde muß konstituiert werden. Sie ist das Ergebnis schwieriger, auf generelle Systeminteressen der Persönlichkeit bezogener, teils bewußter, teil unbewußter Darstellungsleistungen […]. Sie ist eines der empfindlichsten menschlichen Güter […]. Eine einzige Entgleisung, eine einzige Indiskretion kann sie radikal zerstören. Sie ist also alles andere als ›unantastbar‹. Gerade wegen ihrer Exponiertheit ist sie einer der wichtigsten Schutzgegenstände unserer Verfassung.«
Quelle
Niklas Luhmann: Grundrechte als Institution. Ein Beitrag zur politischen Soziologie. Berlin: Duncker und Humblot 1999, zwischen S. 60 und S. 80 – © 1999 Ducker & Humblot GmbH, Berlin.
»Das Recht besteht für Jeden in der Befugniß, von dem Andern die Achtung der menschlichen Würde in seiner Person zu verlangen; die Pflicht, in der Verbindlichkeit für Jeden, diese Würde in dem Andern zu achten.«
Quelle
Pierre-Joseph Proudhon: Die Gerechtigkeit in der Revolution und in der Kirche. Neue Principien praktischer Philosophie. Übers. von Ludwig Pfau. Hamburg: Meißner und Zürich: Meyer & Zeller 1858, vmtl. S. 191.
»Das Hinknien oder Hinwerfen zur Erde, selbst um die Verehrung himmlischer Gegenstände sich dadurch zu versinnlichen, ist der Menschenwürde zuwider, sowie die Anrufung derselben in gegenwärtigen Bildern; denn ihr demütigt euch alsdann nicht unter einem Ideal, das euch eure eigene Vernunft vorstellt, sondern unter einem Idol, was euer eigenes Gemächsel ist.«
Quelle
Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten. Mit einer Einl. hrsg. von Hans Ebeling. Stuttgart: Reclam 1990. (Kapitel: Von der Kriecherei)
»Über den gegenwärtigen Zustand unserer Gattung ist der Philosoph mit dem Politiker einverstanden; aber er fühlt oder weiß vielmehr, was Menschen sein könnten und sollten; er geht daher den Ursachen ihrer Herabwürdigung nach und sucht das Mittel aufzufinden, welches sie wieder ihrer Bestimmung nähern kann.«
Quelle
Georg Forster: Über die Beziehung der Staatskunst auf das Glück der Menschheit und andere Schriften. Hrsg. von Wolfgang Rödel. Frankfurt am Main: Insel Verlag 1966, vmtl. S. 149f.
»Die Bescheidenheit ist eine Form der Gerechtigkeit, eine höfliche Art zu sagen, daß man, obwohl man sich die Rechte der eigenen Würde vorbehalte, sich nicht über seinen Nebenmenschen erheben und seiner Eigenliebe nichts zu Leide thun wolle.«
Quelle
Pierre-Joseph Proudhon: Die Gerechtigkeit in der Revolution und in der Kirche. Neue Principien praktischer Philosophie. Übers. von Ludwig Pfau. Hamburg: Meißner und Zürich: Meyer & Zeller 1858, vmtl. S. 191f.
»Der Mensch ist nur ein Schilfrohr, das schwächste der Natur, aber er ist ein denkendes Schilfrohr. Das ganze Weltall braucht sich nicht zu waffnen, um ihn zu zermalmen; ein Dampf, ein Wassertropfen genügen, um ihn zu töten. Doch wenn das ganze Weltall ihn zermalmte, so wäre der Mensch nur noch viel edler als das, was ihn tötet, denn er weiß ja, daß er stirbt und welche Überlegenheit ihm gegenüber das Weltall hat. Das Weltall weiß davon nichts. Unsere ganze Würde besteht also im Denken. Daran müssen wir uns wieder aufrichten und nicht an Raum und Zeit, die wir nicht ausfüllen können. Bemühen wir uns also, gut zu denken: Das ist die Grundlage der Moral.«
Quelle
Blaise Pascal (1623-1662): Gedanken über die Religion und einige andere Themen. Hrsg. von Jean-Robert Armogathe. Aus dem Frz. übers. von Ulrich Kunzmann. Stuttgart: Reclam, 1997, vmtl. S. 406.
»Wo bleibt denn eure Würde, wodurch zeiget sich euer Adel, Menschen die ihr das Nachdenken, und die ihm so günstige, oft so unentbehrliche Stille und Einsamkeit scheuet; die ihr in einer immerwährenden, den Geist betäubenden, geräuschvollen Zerstreuung lebet; so sollten zu einem klaren innigen Bewußtsein euer selbst und eures Zustandes gelanget; eure Besonnenheit und eure Überlegungskraft so selten anwendet, und immer weit mehr außer euch, als in euch, weit mehr in der Meinung und dem Urtheile anderer, als in dem mit Selbstgefühl verbundenen Gebrauche eurer innern Kräfte existiret und lebet?«
Quelle
Georg Joachim Zollikofer (1730-1788): Predigten über die Würde des Menschen, und den Werth der vornehmsten Dinge, die zur menschlichen Glückseligkeit gehören, oder dazu gerechnet werden. Bd. 1. Reutlingen: Grözinger, 1790, 2. Predigt.
»Endlich, mein Freund, scheint die Zeit gekommen zu sein, wo jenes lügenhafte Bild des Glücks, das so lange am Ziele der menschlichen Laufbahn stand, von seinem Fußgestelle gestürzt und der echte Wegweiser des Lebens, Menschenwürde, an seine Stelle gesetzt werden soll.«
Quelle
Georg Forster: Über die Beziehung der Staatskunst auf das Glück der Menschheit und andere Schriften. Hrsg. von Wolfgang Rödel. Frankfurt am Main: Insel Verlag 1966, S. 168f.
»Achte die menschliche Würde ebenso sehr in Anderen wie in dir selbst. Die Nächstenliebe kommt erst nachher und zwar lange nachher; denn wir haben nicht die Freiheit, zu lieben, wohl aber die, zu achten; und Würde […] ist Gerechtigkeit.«
Quelle
Pierre-Joseph Proudhon: Die Gerechtigkeit in der Revolution und in der Kirche. Neue Principien praktischer Philosophie. Übers. von Ludwig Pfau. Hamburg: Meißner und Zürich: Meyer & Zeller 1858, vmtl. S. 98f.
»Mit jeder Kommunikation riskiert der Mensch seine Würde.«
Quelle
Niklas Luhmann: Grundrechte als Institution. Ein Beitrag zur politischen Soziologie. Berlin: Duncker und Humblot 1999, zwischen S. 60 und S. 80 – © 1999 Ducker & Humblot GmbH, Berlin.
»Das Wissen um das Subjektsein des Menschen (und des Menschen allein) ist der einzige in unserem Wissen liegende Grund für die Anerkennung der einzigartigen Würde des Menschen.«
Quelle
Hans Wagner: Die Würde des Menschen. Wesen und Normfunktion. Würzburg: Königshausen und Neumann 1992, vmtl. S. 318. – © 1992 Königshausen & Neumann, Würzburg.
»Um seine Würde zu wahren, muß man eine Situation des Zwangs in eine der Freiheit verwandeln.«
Quelle
Tzvetan Todorov: Angesichts des Äußersten. Aus dem Frz. von Wolfgang Heuer und Andreas Knop. München: Fink 1993, S. 70. – © 1993 Wilhelm Fink Verlag, München.
»Eine wissenschaftliche Auffassung scheint den Menschen insofern zu erniedrigen, als schließlich nichts übrigbleibt, für das man dem ›autonomen Menschen‹ Anerkennung zollen könnte. Und was die Bewunderung im Sinne von Bestaunen anlangt, so ist das Verhalten, das wir bewundern, ja nur das Verhalten, das wir noch nicht erklären können. Die Wissenschaft sucht natürlich nach einer umfassenderen Erklärung für solches Verhalten; ihr Ziel ist die Zerstörung von Geheimnissen.«
Quelle
Burrhus Frederic Skinner: Jenseits von Freiheit und Würde. Übers. von Edwin Ortsmann. Reinbeck: Rowohlt 1973. – © Copyright für die deutsche Übersetzung von Edwin Ortmann 1973 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbeck bei Hamburg.
»Denn Selbstdarstellung ist jener Vorgang, der den Menschen in Kommunikation mit anderen zur Person werden läßt und ihn damit in seiner Menschlichkeit konstituiert. Ohne Erfolg in der Selbstdarstellung, ohne Würde, kann er seine Persönlichkeit nicht benutzen. Ist er zu einer ausreichenden Selbstdarstellung nicht in der Lage, scheidet er als Kommunikationspartner aus […]. Der Mensch soll sich vor jedermann sehen lassen können!«
Quelle
Niklas Luhmann: Grundrechte als Institution. Ein Beitrag zur politischen Soziologie. Berlin: Duncker und Humblot 1999, zw. S. 60 & S. 80 – © 1999 Ducker & Humblot GmbH, Berlin.
»Ebensowenig ist die Welt um ihrer selbst willen geschaffen worden, denn sie ist offensichtlich nicht darauf angewiesen, die Dinge der Welt zu verwenden, da sie keine Sinne hat. Und man kann auch nicht behaupten, daß Gott die Welt für sich selbst hervorgebracht habe, denn er konnte und kann sie entbehren, wie es ja eindeutig vor ihrer Erschaffung der Fall war. Es bleibt also nur, daß die Welt um der Lebewesen willen gemacht worden ist.«
Quelle
Gianozzo Manetti: Über die Würde und Erhabenheit des Menschen. De dignitate et excellentia hominis. Übers. von Hartmut Leppin. Hrsg. und eingel. von August Buck. Hamburg, Meiner, 1990, Drittes Buch. – © 1990 Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg.
»Der Mensch ist nicht nur ein auf Selbsterhaltung bedachtes Lebewesen. Ihm ist auch ein feines Gefühl der Selbstachtung eingegeben, dessen Verletzung ihn nicht weniger trifft als ein Schaden an Körper oder Vermögen.«
Quelle
Samuel von Pufendorf: Über die Pflichten des Menschen und des Bürgers nach dem Gesetz der Natur. Hrsg. und übers. von Klaus Luig. Frankfurt am Main: Insel, 1994, S. 78. – © Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig. Alle Rechte vorbehalten durch Insel Verlag Berlin.
»Im Geist also, in der Krankheit beruht die Würde des Menschen, und der Genius der Krankheit ist menschlicher als der der Gesundheit.«
Quelle
Thomas Mann, Goethe und Tolstoi, in: Thomas Mann, Leiden und Größe der Meister, Frankfurt am Main: S. Fischer, 1982, S. 50-51. – © 1982 S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.
»Ein unvergleichbarer, unbedingter, absoluter Wert, dergleichen die Würde sein soll, ist demnach wie so vieles in der Philosophie die mit Worten gestellte Aufgabe zu einem Gedanken, der sich gar nicht denken läßt, sowenig wie die höchste Zahl oder der größte Raum.«
Quelle
Arthur Schopenhauer: Die beiden Grundprobleme der Ethik. Über die Grundlage der Moral. In: A. Schopenhauer: Sämtliche Werke. Hrsg. von Wolfgang Frhr. von Löhneysen. Bd. 3. Stuttgart: Cotta / Frankfurt am Main: Suhrkamp 1978, S. 696.
»SATIN. Nur der Mensch allein existiert, alles übrige – ist das Werk seiner Hände und seines Gehirns! Der M-ensch! Einfach großartig! So erhaben klingt das! M-men-nsch! Man soll den Menschen respektieren! Nicht bemitleiden … nicht durch Mitleid erniedrigen soll man ihn … sondern respektieren! Trinken wir auf das Wohl des Menschen, Baron! Wie schön ist’s doch – sich als Mensch zu fühlen!«
Quelle
Maxim Gorki: Nachtasyl. Szenen aus der Tiefe in vier Akten. Übers. von August Scholz. Stuttgart: Reclam 1957, S. 89f.
»Die Seele zeigt ihr von der gemeinen Niedrigkeit geschiedenes königliches und erhabenes Wesen schon darin, dass sie unabhängig und selbständig ist, nach eigenen Entschlüssen selbstmächtig waltend.«
QUELLE
[Gregor von Nyssa, De opificio hominis 4 (PG 44, 136 CD, 177D), übers. von Viktor Pöschl, in:] Pöschl, Viktor, Der Begriff der Würde im antiken Rom und später. Heidelberg: Winter, 1989, S. 44. – © 1989 Universitätsverlag Winter, Heidelberg.
»Während der Schöpfer den Blick der anderen Wesen nach unten lenkte und bannte, so dass sie die Erde betrachten, hat er dagegen den des Menschen emporgerichtet, damit er den Himmel anschaue, da er kein Erdengeschöpf, sondern, wie das alte Wort lautet, ein Himmelsgewächs ist.«
Quelle: [Philon, De plantatione 4,16f. (PhAO 1371, 1-8), übers. von Isaak Heinemann, PHAW 4,156, in:] Ulrich Volp, Die Würde des Menschen, Leiden/Boston, Brill, 2006, S. 80. – © 2006 Koninklijke Brill NV, Leiden.
Sind Würde und Komik unvereinbar? Oder gibt es einen würdevollen Humor?
Hörempfehlung zum Thema Menschenwürde: ›Würde des Menschen – Philosophische Grundlagen‹ von Michael Conradt, gesendet am 20.11.2019 im Bayerischen Rundfunk (Bayern 2 Wissen).
Hier geht’s zum Radiobeitrag.
Beschreibung: »Die Würde des Menschen ist im Grundgesetz verankert. Dennoch wird sie kontrovers diskutiert. Ist sie wirklich unantastbar, oder ist es in extremen Fällen erlaubt, sie zugunsten anderer Werte einzuschränken?«
Zweifel und Gedanken zur Menschenwürde.
Obwohl sich die Menschenrechte auf die Annahme einer dem Menschen von sich aus innewohnenden Würde stützen, und obwohl beachtliche rhetorische und politische Anstrengungen unternommen werden, ihrer Gültigkeit überall auf dem Erdenrund zur Anerkennung zu verhelfen, ist ihr Fundament gerade dort brüchig geworden, wo es sie einst mit ihrem ganzem Gewicht tragen und in eine ihnen feindselig gesonnene Welt hinaus wachsen lassen konnte.
Ob es überhaupt eine dem Menschen von Natur aus zukommende Würde gibt, ist fraglich geworden. Unser Weltbild hat sich seit einer Weile erheblich verändert, die Konstellation unserer althergebrachten Grundbegriffe dergestalt verschoben, dass manche von ihnen isoliert zurückbleiben und lose durch den Raum der Ideen schwanken. Die Menschenwürde ist eine solcher heimatvertriebenen Ideen.
Diese Einsicht ist nicht nur Philosophen zur Aufgabe geworden, sondern findet ihren wirkmächtigen Niederschlag auch in den Leitfäden zur Gesetzesinterpretation, so in dem neuen Kommentar zu Artikel 1 des Grundgesetzes von Matthias Herdgen, der 2003 den alten maßgeblichen Kommentar von Günter Dürig ablöste. Darin wird der Bezug zur natürlichen ›Wesenswürde‹ des Menschen aufgelöst und sinngemäß eine Hinwendung zur selbstbestimmten Ethik vollzogen. Statt auf ›metaphysische‹ Prinzipien beruft man sich auf eine gemeinschaftliche ›volonté générale‹. Wir wollen den Menschen würdigen, daher schreiben wir ihm Würde zu.
Dieser argumentative Wechsel ist mehr als verständlich. Er ist Ausdruck eines Zeitgeistes, der schon während der Ausarbeitung, Proklamation und Begründung der ›Würde‹ ihre Fundamente zweiflerische umwehte. Es ist nur konsequent, Prinzipien der kollektiven Daseinsgestaltung aus dem freien Willen der Menschen, nicht aus der Natur oder aus göttlichen Gnaden abzuleiten.
Und dennoch: Kann der gemeinschaftliche Wille eines Kollektivsubjekts oder der ›Eliten‹, der Rechtsgeber, Rechtssprecher, Rechtsexegeten den freien Intellekt des Individuums überzeugen? Was antworten die Repräsentanten des Staates dem Einzelnen, dem neu Hinzukommenden, wenn er fragt: Warum? Warum sollte ich in meinen Mitmenschen Würde anerkennen? Hat die Gesellschaft auf diese Frage gute Antworten parat oder kann sie nur ihre Übermacht vorweisen? Kann sie nicht nur sagen: »Wir wollen so. Entweder willst du, wie wir wollen oder handle wenigstens so, als würdest du wollen, wie wir wollen. Dich mit guten Argumenten zu überzeugen, das aber vermögen wir nicht.«
Anders ausgedrückt: Die Gesellschaft hat ein Problem, ihr Postulat von der menschlichen Würde zu begründen. Ihre Autoritäten können sie nur als Dogma setzen und ihre Anerkennung fordern. Das war früher anders, als man die Würde des Menschen mit seiner Vernunftbegabung, seiner Herausgehobenheit aus der Natur, seiner Gottebenbildlichkeit oder der Menschwerdung Jesu‘ ›begründen‹ konnte.
Meine Überlegungen zur Menschenwürde gehen vorläufig von der Annahme aus, dass a) eine Begründungsaporie im gegenwärtigen Diskurs um die Menschenwürde besteht, dass b) die aktuellen argumentativen Bezugnahmen auf die Würde des Menschen von einer willkürlichen Setzung, einem Dogma ausgehen müssen, und dass c) Dogmen sowohl philosophisch unzureichend als auch – auf lange Sicht – praktisch gefährlich sind, als da sie nur ›hart‹ vermittelt, d.h. mit heimlicher Gewaltandrohung durchgesetzt oder per Manipulation dem Einzelnen imprägniert werden können, und nicht ›weich‹ vermittelt, d.h. einem aufgeklärten Subjekt mit guten Gründen dargeboten, so dass es sie in Freiheit aus eigener Einsicht annehmen darf und soll.
Naheliegend wäre eine weitere Option, nämlich dass der Einzelne aus freiem Ermessen die ›volonté générale‹ übernimmt, schlicht weil er dem Gemeinwohl von sich aus und ohne weitere Begründung große Bedeutung beimisst. Würde wäre hier ein akzeptables praktisches Prinzip, das sich fraglos integrieren lässt. Für einen solchen Menschen gibt es keine moralischen Probleme außer solche, die sich in der detaillierten Abwägung einzelner ethischer Komponenten in konkreten Situationen erschöpfen. Wir wollen aber dem Zweifler begegnen, dem Zweifler in uns, der auch gute Gründe haben möchte statt bloß praktikable Setzungen.
Daher treibt uns die Frage um: In welchem Sinne gibt oder gibt es keine Menschenwürde? Woraus ließe sie sich herleiten? Was ist ihr argumentatives Fundament?
Die moderne Kritik an der Menschenwürde als ›Wesenswürde‹, also als ein jedem Menschen seines Wesens wegen zukommender Wert, adressiert die sogenannte ›Wesensphilosophie‹, die von einigen Gegnern geradezu mit ›Metaphysik‹ schlechthin gleichgesetzt wurde. Dieser Angriff ist richtig, wenn er auch Metaphysik unrechtmäßig auf eine einzige ihrer Gestalten reduziert. Richtig ist er, weil er an einer Zweideutigkeit im Begriff von ›Wesen‹ ansetzen kann, die in der auf Platon zurückgehenden Tradition von Anfang an problematisch war. Wesen – als ἰδέα – kann nämlich heißen:
- Das Was-Sein einer Sache. Alle einzelnen Menschen, die es je gab, die jetzt leben, und die noch geboren werden, sind Menschen. Man erkennt sie als solche wieder, in gewissem Maße unabhängig von ihrer individuellen Beschaffenheit. Ich muss nicht bei jedem Menschen, der mir begegnet, eine neue Gattung, eine neue Kategorie von Sachen in mein Denken einführen, sondern kann mit Recht auf ein schon bestehendes Muster zurückgreifen, in das sich der einzelne Begegnende ohne großen Widerstand einfügt. Dieses Muster ist sein Wesen.
- Das Wesen einer Sache kann aber auch bedeuten: das was sie eigentlich ist im Unterschied zu dem, was sie empirisch – der eigenen Erfahrung nach – ist oder zu sein scheint. So verstanden bezeichnet ›Wesen‹ gewissermaßen die genetische Struktur, den Bauplan oder das innerlich vorgesehene Entwicklungsgesetz für das Dasein einer Sache. Je nachdem, inwieweit die tatsächliche Existenz dem Wesen der Sache entspricht, kann sie zu ihrer ›Bestimmung‹ gelangen oder sie verfehlen. Die Pflanze hätte grünen und blühen sollen, jedoch der Boden war zu nährstoffarm, die Witterung hart und so verkam sie kümmerlich, ohne ihr inneres Potential, die in ihrem Samen vorprogrammierte Existenz zu entfalten. Ein Stuhl kann, obgleich mit großer Hingabe gestaltet, seine Funktion nicht erfüllen, wenn er unzweckmäßig konstruiert ist, etwa wenn er nur zwei Beine hat. Die dem Stuhl wesentlich zukommende Eigenschaft ist nämlich, sich darauf setzen zu können. Analog vermag gemäß diesem Konzept aber auch der Mensch zu versagen: Im Mittelalter konnten wir als Geschöpfe Gottes, mit der Ehre seiner besonderen Zuwendung bedacht, durch die ›Sünde‹ unser Wesen und damit unsere eigentliche innere Bestimmung verletzen, uns, »die wir zur Partnerschaft mit den Engeln und zur Gemeinschaft mit Gott bestimmt sind«, durch die Sünde »erniedrigen« lassen (so z.B. bei Erasmus von Rotterdam). Der Grundgedanke vom Wesen in diesem Sinne leitet sich von der antiken Ideenlehre her. Er kann zur logischen Konsequenz haben, dass etwas nicht das ist, was es eigentlich ist. Übertragen auf den Menschen bedeutet das unter anderem, dass ein Mensch unmenschlich handeln kann, was im Rahmen der obigen ersten Bedeutung gar nicht möglich wäre.
Es ist das Wesen in der zweiten Bedeutung, gegen das sich die Kritik an der ›Wesensphilosophie‹ und damit an der ›Wesenswürde‹ des Menschen richtet. In der Tat ist dieser Wesensbegriff höchst fragwürdig. Es liegt auf der Hand, wie leicht sich dieses angenommene ›innere‹ oder ›eigentliche‹ Sein ins Moralische wendet. Der Mensch sollte so sein, wie er eigentlich, wie er im Grunde doch schon immer ist. Das innere Wesen wartet gewissermaßen darauf, dass der äußerliche Mensch sich seiner besinnt, es erkennt, und daraufhin sein äußeres Sein dem Inneren angleicht. Diese Denkfigur hat große Bedeutung im Bereich der Lebensgestaltung. Sie gibt ein Erkenntnis- und Handlungsprogramm vor, an dem man sich einen ganzen Lebenslauf hindurch abarbeiten kann.
In Wahrheit aber gibt es genug Grund, an ihr zu zweifeln. Nicht zuletzt deshalb, weil die Position dieses ›Inneren‹, des ›Wesens‹ des Menschen im zweiten Sinne im Laufe der Geschichte von so vielen verschiedenen Konzepten besetzt worden ist, dass man fragen muss, wieviel Glaubwürdigkeit eine Wesensbeschreibung dieser Art wirklich haben kann. Vor allem weisen die Beschreibungen der ›Humanität‹ einen heftigen Zug zu überstiegenen Idealen, ja hin und wieder zu grellem Heiligenschein auf. Das Wesen des Menschen ist wahlweise mitfühlend, liebevoll, kreativ, ausgeglichen, selbstbewusst, vernünftig, wach – und meistens auch wertvoll.
Wir gehen an dieser Stelle einmal davon aus, dass es sich bei diesen Wesensbeschreibungen mehr um Präskriptionen denn um Deskriptionen handelt, darum, wie der Mensch sein soll, weniger darum, wie er seinem Wesen nach ist (in der ersten Bedeutung), und ganz gewiss nicht darum, wie er empirisch ist – letzteres war ja auch nie intendiert. In allen Versionen dieser Gedankenfigur gibt es ein Verhältnis des tatsächlichen zum wesentlichen Sein. Der Mensch kann sich von sich selbst entfremden, er kann in Unkenntnis seines eigentlichen Seins in die Irre gehen, sich an Äußerlichkeiten verschwenden, weil er sich selbst verkennt, er kann asozial und menschenfeindlich werden, wo er doch im Innersten seines Wesens ein Mit-Mensch ist – auch wenn er das vergessen hat –, er kann sich von der Natur abtrennen, seine Spiritualität verschütt gehen lassen, sich seine kraftvolle Primitivität abgewöhnen u.a.m.
Es geschieht auch, dass der Mensch sein Potenzial zur Vernunftausübung faktisch nicht wahrnehmen kann. Wird er deswegen seinem Wesen nicht gerecht werden? Dergleichen könnte und müsste man – was zynisch anmutet – sogar für den geistig Behinderten behaupten, den Senilen, das Kleinkind oder den Embryo. Zuletzt kann der Mensch, obgleich mit unveräußerlicher Würde ausgestattet, sich unwürdig verhalten. Es hängt von der jeweiligen Würdekonzeption ab, ob er dadurch seiner Würde verlustig geht oder ob er nur ›unter sich‹ fällt, d.h. unter den Anspruch, mit dem ihn sein eigenes Wesen konfrontiert – zu sein, was er ist. Im Fall der Würde wäre es traditionell v.a. die Achtung bzw. die Selbstachtung, die der eigenen Würde angemessen gilt.
Dieser ganze begriffliche Bau hat gemeinhin nichts von seiner Popularität eingebüßt. In den maßgeblichen gesellschaftlichen Kreisen, die mehrfach und heftig von postmodernen Dekonstruktions- und Destruktionsprojekten geläutert wurden, darf er aber als gestürzt und überrannt gelten. In seiner alten Architektur lässt er sich auch gewiss nicht mehr zu neuer Standfestigkeit errichten.
Und dennoch, so hatten wir oben festgestellt, kommt uns auch der mutige Entschluss zu Dogmatismus, Kollektivgläubigkeit, zu Konvention und Willkür philosophisch mangelhaft vor. Deshalb muss die Frage von oben noch einmal gestellt werden: In welchem Sinne gibt oder gibt es nicht so etwas wie eine dem Menschen von sich aus zukommende und sich uns von sich aus zusprechende, uns ansprechende, womöglich sogar anklagende Würde, einen Anspruch, der sich an uns richtet und sich nicht widerstandslos unserer beliebigen Reinterpretation fügt?
Damit soll das Problem angerissen sein, welches demnächst noch zu einigen gelegentlichen Denknotizen Anlass geben soll. Es besteht letztlich in der Frage, ob Menschenwürde auch heute noch überzeugend begründet werden kann, etwa als Ergebnis der freien Einsicht in das Wesen des Menschen oder der Welt, oder ob uns ein kollektiver Dogmatismus allein noch übrig bleibt, der auf jede Form rationaler Vermittlung verzichten muss. Dass die Frage ausweglos ›korrumpiert‹ ist, weil sie erweisen will, wovon sie schon ausgeht, ist nur eine der Herausforderungen, die dieser Denkweg aufbietet.
Autor: Adrian
Pamphlet zum Thema ›Rausch und Selbstzerstörung‹. Der drogeninduzierte Rausch als Revolte gegen die Tyrannei des gesunden Lebens und der gelingenden Existenz. (Selbst-)Zerstörung als Ausdruck eines metaphysischen NEIN zum Sichfügen in die Bedingungen des ›guten‹ Lebens und als verzweifelter Schrei der Freiheit.
»Wenn wir nach Glück und einem guten Leben streben, warum fügen wir uns dann mit Rauschmitteln wie Alkohol bewusst Schaden zu und nehmen neben den Langzeitfolgen sogar zeitlich dicht folgendes Leid in Kauf? Ist uns der Rausch denn so viel wert? Was ist verkehrt an uns, dass wir ihn nicht als das Schlechte erkennen, das er ist?«
So oder so ähnlich stellt sich den Aposteln des gelingenden Lebens das Problem der Selbstschädigung durch Rauschmittel dar. Und in der Tat ist es ein Problem, das einem Kopfzerbrechen bereiten könnte. Wie ist es möglich, dass wir, wo wir doch alle in trauter ›Selbstsorge‹ um unser Wohl besorgt sind, solche Ausfallerscheinungen an den Tag legen? Sind wir etwa zu dumm, zu kurzsichtig, um zu erkennen, dass ein Vollrausch mit folgendem Vollkater nicht Signum einer gelungenen Existenz sein kann?
Ein signifikanter Teil des Schadens ist doch unmittelbar erfahrbar: der bohrende Schmerz im Hirn am ›Tag danach‹, die destruierende Scham (Alkohol), die verklebten Gedanken, die wie zäher Schleim in eklen Fäden von der Denkraumdecke hängen (Marihuana).
Macht uns der Rausch etwa in einem kompensatorischen Maße kurzzeitig glücklich, schenkt er uns eine Intensität, die wir uns anders nicht hervorzurufen imstande sehen? Oder schmeckt es uns gar so gut? Trinken wir als anspruchsvolle Gourmands um des erhabnen Genusses willen? Auch wenn regelmäßig einflatternde Flyer das ästhetische Niveau der hiesigen Weinverköstigungen zu veranschaulichen sich mühen, dürfen wir ehrlich antworten: Wir berauschen uns vorwiegend nicht wegen der Qualität des Rauschmittels, sondern allenfalls um der des Rausches willen.
Aber wie kann das jemand wollen? Muss so einer nicht in einer groben Fehleinschätzung glauben, dass sich der Rausch lohne?! »Gewiss muss eine geheime Rationalität solches Treiben steuern!«, mag der emsige Menschenmechaniker vermuten. Die komplexen rationalen Gerüste, die auf diesen Verdacht hin in feinfingriger Kleinstarbeit konstruiert werden, um solch fassungsloser Irratio einen stabilen Unterbau zu errichten, sind von teils beeindruckender Architektur. Was aber, wenn man der These eines Rechnungshofes, eines versteckten Verstandes und einer unbewussten Ratio in uns nicht traut? Wenn einem – vielleicht angestuppst durch andersartige Erfahrungen – der Glaube, die Menschenseele fröne im Grunde einer komplizierten Mathematik, zu gewagt vorkommt?
Nun, dann muss wohl der Rausch Ausdruck des Sturzes in das total Irrationale sein, das Ungreif- und Unbegreifbare, das ›Dionysische‹, das viel geahnte ›Andere‹ der Vernunft, das insbesondere der deutsche Denker inniglich liebt und das er allzeit gern mit wohligem Grauen erahnt.
Doch diese Vermutungen und schulmäßigen Erläuterungen haben etwas eigentümlich Naives in Bezug auf ihre eigenen Voraussetzungen. Viel wahrscheinlicher ist, dass Ausgangspunkt und Richtung für diese aufwendigen Deutungen bereits falsch gewählt wurden. Hintergrund des Fehlers ist eine für selbstverständlich gehaltene Moral des gelingenden Lebens, gepaart mit dem Fetisch der Gesundheit, dessen Normativität gelegentlich Züge der Tyrannei zeigt.
Wäre es nicht möglich, dass der Hang zur umfassenden Zerstörung, der im Rausch liegt, nicht primär eine Kompensation vom alltäglichen Stress ist, sondern das Zurückschnellen aus einer tieferen Überspannung: aus derjenigen der Sorge selbst?
Denn es gibt im Rausch ein viel umfassenderes Nein als man da haben möchte: eine Absage an alle Bemühungen um das gute und richtige, das brave Leben, einen verkrümmten aber wurzelnahen Auswuchs der Freiheit, einen letzten Trotz, der sich nicht den natürlichen Umständen dessen, was gesund ist, unterwerfen möchte. Er beinhaltet eine Zurückweisung der eigenen Klugheit, dem eintrainierten Auf-sich-acht-geben, der wohlwollenden Für- und Selbstsorge.
Die Wahrheit ist: Es liegt etwas Erniedrigendes in der Tatsache, dass wir uns mit so viel Mühe und so vielen schlauen Schlichen um dasjenige kümmern, was uns gut tut, etwas Demütigendes in dem Sich-Fügen in die natürlichen Umstände, in der ›Lebenskunst‹ , die ihr Zentrum letztlich doch nur in cleveren Techniken zur Anpassung an das Gegebene und Geforderte findet, darin, sich das zielkonforme Mindset einzupeitschen, das dich so sympathisch wie erfolgreich macht, in dem unterwürfigen Bemühen, es ›richtig‹ zu machen.
Dass die Wege des guten Lebens zugleich verborgen und schicksalshaft wirken, darf als herabwürdigende Zumutung des Daseins an uns gelten. Es darf so gelten, weil es uns so erscheint. Wenn das Ganze sich als Spiel mit vorgegebenen Regeln darstellt und das ›Gelingen‹ darin besteht, die Regeln zu beherrschen und kluge Züge zu machen, worin könnte mehr Freiheit aufscheinen als in dem entschlossenen Nein zum Spiel? Dem Spiel die Karten vor die Füße zu werfen, wohlwissend, dass es dich im Gegenzug kalt und regelkonform vernichten wird, ist das nicht Ausdruck einer großen, wenn auch einer verzweifelten Freiheit?
Neben allem ›Todestrieb‹, aller natürlichen oder ansozialisierten ›Destruktivität‹, die in den harten Formen des Rausches beherrschend, in den weichen bestimmend mitwirken mag, bleibt ein anderer Bruch, der für den erwachsenen Menschen viel fundamentaler ist: das metaphysische Nein zum Guten.
Dieses Nein ist deshalb primär metaphysisch und erst abgeleitet moralisch, weil es sich zum Ganzen den Seienden (meta ta physica) verhält und weil es – insofern es überhaupt irgend möglich ist, sich zu diesem Ganzen bejahend oder verneinend zu halten – das ganze Spiel ablehnt. Worin anders aber könnte die Würde des Menschen heller erstrahlen als in der bitteren Verweigerung des Unausweichlichen? Woran die Freiheit prägnanter sich schärfen als im letzten Gegenhalt gegen ihre allmächtige Demütigung.
Warum trinkt nur die Jugend sich ins Koma, während das Alter ernüchtert? Liegt es nicht daran, dass wir uns mit dem Älterwerden den Bedingungen fügen? Es sollte uns zu denken geben, dass eine der ersten Antworten des erwachenden Bewusstseins auf die erkannte Welt darin besteht, sich und sie in die Bewusstlosigkeit zu verwerfen.
Es gibt eine Verneinung, die gegen alle und alles und genuin gegen das eigene Wohl gerichtet ist, eine Sehnsucht nach Zerstörung, die nicht auf Umwegen der eigenen Gesundheit dienen möchte. Diese Vernichtung soll reines Nein sein, ohne versteckten Profit. Wer sich kennt, kennt auch diesen tiefen Zug. Wen wundert es da, dass wir uns so große Mühe geben, ihn nicht zu sehen.
»Unter der Maske des Hedonismus bist du doch selbst der Sensenmann, und dein Weg führt in die Nacht. Hedonismus hat keine Bedeutung. Das ist auch nur eine Lüge. Oder bestenfalls der faule Kompromiss für die Feiglinge.«
Jack London • König Alkohol